Ich bin Prusai.
Obwohl weit nach Kriegsende in Hamburg geboren, fand ich heraus, dass sich in der gesamten Familie meiner Mutter kein deutscher Name findet. Szlopsnys, Kasokatis, Polwillaitis, Klaudatis, Azmonaitis, Willumatis.
Spannend - und schon war ich mittendrin.
Die Prusai sind ein westbaltischer Stamm, der lange bevor die Deutschen Ordensritter kamen, dort lebte. "Dort", das war die Große Wildnis, wie die Gegend noch lange genannt wurde. Die Prusai waren Europas letzte Heiden und lebten eine Naturreligion. Lange setzten sie sich erfolgreich gegen die Deutschen zur Wehr, bis sie schließlich im Ostpreußischen aufgingen. Ohne allerdings ihre naturbezogenen Bräuche und ihre Mystik aufzugeben.
Die Familie meines Vaters, der in Königsberg geboren wurde, stammt ursprünglich aus Barten, einer uralten Prussensiedlung.
Viel wurde mir über dieses versunkene Land im Osten erzählt, sehr lebendig standen der Hof, das Gut, die Menschen und Tiere in meinen Gedanken vor mir. Allgegenwärtig.
Aber es dauerte Jahrzehnte, bis ich den Mut fasste, das Land der Väter persönlich zu bereisen.
Davon werde ich hier berichten. Ein Buch ist auch in Arbeit.
Sturmen, Auffahrt zu unserem Gutshof.
In Lasdehnen kann ich diesmal schon mehr von der Heimat aufnehmen, als im letzten Jahr. Ich möchte einfach nur bummeln, sitzen, anfassen, staunen und natürlich fotografieren.
Diese Allee mit den dicken Linden - wie oft mag Großvater mit seinen Pferden hier nach Lasdehnen hineingefahren sein? Großvater wollte damals kein Auto anschaffen. Als meine Mutter ihn danach fragte sagte er: "Wenn ich mit meinen Füchsen nach Lasdehnen einfahre, drehen sich alle um. Aber wer schaut schon auf ein Auto." Lebendige Erzählungen meiner Mutter lassen das Bild vor mir real erstehen.
Dann geht es durch die unendlich scheinenden Wälder, in Axlupönen, heute Visokoye oder so, kurz hinter Lasdehnen, muss man links abbiegen und dann diese schmale, unbefestigte Straße. Wald, Wald Wald. Irgendwann die ersten Häuschen. Wir halten. Sind da. Hätte ich es erkannt? Alexandr lässt uns wieder taktvoll alleine. Ich finde mein Bändchen noch am Zweig, wo ich es am 9. August 2017 betend befestigt hatte und das Lied von Leonard Cohen abspielte. Nun binde ich ein Neues dazu, lege eine kleine rote Rose aus unserem Garten auf einen der Steine, die einmal unser Vaterhaus waren. Reste des Fundaments. Für Großmutter zum Geburtstag. Ich versuche immer wieder in meditative Stimmung zu kommen. Es gelingt nicht so, weil alles sehr real und lebendig ist, außerdem denke ich dass Federico und Alexandr warten und die Hunde wuseln ziemlich pietätlos über die Steine.
You got me singing....
Ich sehe den alten Obstgarten, entstand hier das Foto von Großmutter, im Gebüsch, mit skeptisch - fragendem Blick. Konnte sie ahnen, dass über 70 Jahre später ihr einziges Enkelkind dieses Bild so oft betrachten würde?
Ja und dann nehme ich es mir heraus, für mich alleine loszulaufen. Immer geradeaus. Auf unserem Grundstück nach hinten in Richtung wo wohl Stall und Scheune standen, ist es zur Zeit wegen der Vegetation unpassierbar, da muss ich zu anderer Jahreszeit wiederkommen.
Ich laufe also einen Pfad entlang, ich weiß nicht, was jetzt wohin gehört, ich erlebe nur, dass es von überirdischer Schönheit ist. Lange Gräser wiegen sich im Wind, sanfte Birken grüßen mich. Ein liebevolles Licht umarmt mich. Der Kuckuck ruft. Ich könnte stundenlang weiterlaufen. So wunderbar ist es hier. Ich spüre, ich bin zuhause. Ich fotografiere, dann muss ich umkehren, ich möchte nicht, dass die Freunde so lange warten...
Diese Landschaft, diese Begegnung werde ich nie vergessen.
Dann noch einmal unsere Auffahrt mit der dichten, einmaligen, geliebten
Allee.