Wenn wir uns mit der ostpreußischen Literatur und Ernst Wiechert befassen, müssen wir zuerst verstehen, dass es derer zwei gibt. Den Dichter Ernst Wichert, ohne "ie", geboren in Insterburg, von Beruf Jurist und den mit dem "ie", der in der Försterei Kleinort, Masuren geborene, der lange Zeit der meistgelesene Autor Deutschlands war. Sein Geburtshaus habe ich im September 2020 gesucht, um seine wortgewaltige Dichtung tiefer zu verstehen.
Fasziniert hat mich folgendes Zitat:
"Ich komme aus keiner `Schule` und ich gehöre keiner Richtung an. Aber ich komme aus einer großen Landschaft, die vieles an mir gebildet hat, und aus jener Einsamkeit, in der ein Mensch noch wachsen kann."
Ernst Wiechert, "Es sprach eine Stimme".
Er drückt damit aus, was ich selbst empfinde, denn alles, worauf ich mich berufen kann, ist meine Herkunft aus der unbegrenzten Wildnis der Wälder Sturmens.
"Ich hatte das Glück, dass zu Beginn meines Lebens nur große Dinge um mich standen und dass sie große Schatten warfen. Nicht ein Hinterhaus, eine Mietwohnung, eine gepflasterte Erde. Sondern der Wald war da, ein großer Wald, große Wolken an einem großen Himmel und es war etwas wie Unendlichkeit darin."
"Es waren Märchen da, Geschichten und Gedichte, und es war die Bibel da, erfüllt mit Gedichten.
Es war nichts Kleines da, keine Zeitung, kein Lautsprecher, kein Geschwätz an einer Straßenecke.
Der Liebe Gott ging noch durch den Wald, und seine Fußspuren leuchteten."
Ernst Wiechert, "Es sprach eine Stimme"
"Suchen sie Wiechert", fragt mich der freundliche Mann auf Deutsch, der akribisch seinen Audi A6 poliert, offensichtlich ein Seelenverwandter von mir, der noch sein Auto per Hand pflegt. Die Wenigsten finden das Geburtshaus des Dichters auf Anhieb, suchen zunächst hier in dem kleinen Dorf, bestehend aus drei Häusern. Aber die Försterei liegt tiefer im Wald, ganz so, wie Wiecherts Texte es vermitteln. "Wälder und Menschen", "Die Majorin", "Die Jeromin Kinder." Um nur einige zu nennen. Da gibt es dann noch "Das einfache Leben" oder "Der Totenwald", im letzteren befasst sich der Dichter mit seiner Zeit im KZ Buchenwald. Goebbels wollte den unbequemen Denker und Mahner vernichten, scheiterte aber an der Bekanntheit des Schriftstellers.
Ganz einsam liegt das kleine Försterhaus, umgeben von der scheinbaren Unendlichkeit des Waldes.
Man hat liebevoll eine Gedenkstätte mit Museum gestaltet.
Wiecherts Wunsch war es, wie sein Vater, Förster zu werden, die tiefe Liebe zur Natur war seine Triebfeder. Doch der Vater zwang seine Söhne in eine akademische Ausbildung, um ihnen ein leichteres Leben zu ermöglichen. Die Mutter schied früh durch Suizid aus dem Leben, ein Schicksal, welches sich bei Wiecherts erster Frau auf tragische Weise wiederholte.
Ernst Wiechert liebte als Kind einen jungen Kranich, den er aufzog und mit dem er manche Stunde, Herz an Herz, im Gras lag. Die Liebe zu den Tieren wird aus folgendem Zitat deutlich, das mich zutiefst beeindruckt:
"Mir will scheinen, als seien Zuchthäuser und Tiergärten die Stätten der Erde, zu denen Gottes Atem nicht mehr durchdringe. Ich kenne keinen Unterschied des Wertes zwischen ihnen, weil ich nie zu sagen vermocht habe: "Nur ein Tier..."
Ernst Wiechert, "Es geht ein Pflüger übers Land"
Sein tiefer Glaube und seine unbeugsame Überzeugung brachten Ernst Wiechert ins KZ Buchenwald. Aber selbst ein Satan wie Goebbels konnte ihn nicht brechen. Folgende Zeilen aus seinem Buch "Es geht ein Pflüger übers Land" strahlen in unsere Zeit hinein und packen uns mit ihrer Aktualität:
"Ich sehe zurück und sehe: dass die Menschen hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, ohne dass sie satt werden. Dass Blumen zertreten auf der Straße liegen und Tiere geschlagen werden. Dass man Kindern Steine statt des Brotes reicht. Dass Junge wie Alte Fahnen, Abzeichen, Erkennungsmarken, Weltanschauungssymbole tragen und einander darum totschlagen. Dass es immer noch heißt: "Am Anfang war das Wort." Aber dass es nicht weiter heißt: "Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns." Sondern dass es heißt: "Und das Wort blieb tot, und wir tanzten nach dem toten Wort." Dass die Masse gesund und kompakt ist, wie zu allen Zeiten. Dass die Propheten gekreuzigt werden wie zu allen Zeiten und die Scheiterhaufen auf allen Feldern rauchen: in der Politik wie in der Moral, in der Kunst wie in der Religion, in der Schule wie in den Todeskammern der Zuchthäuser.
Ich gehe voraus und sehe: dass meine Brüder auf der Erde nicht sterben werden. Meine Brüder, die jede zertretene Blume aufheben und jedes geschlagene Tier trösten."
"Ich sehe, dass wir ein Strom sind und die Jahresanfänge uns nicht durchschneiden wie Brücken, sondern wie Schatten der Bäume, an denen wir vorüberziehen."
Ernst Wiechert, "Es geht ein Pflüger übers Land"
"Und führe heut und für und für
durchs hohe Gras vor meiner Tür
die Füße aller Armen.
Und gib, dass es mir niemals fehlt
an dem, wonach ihr Herz sich quält:
ein bisschen Brot und viel Erbarmen."
"Es geht ein Pflüger übers Land"
Verlag Kurt Desch München